Luvre47 über sein neues Album, "Sonne & Beton", Kolja Goldstein & Gropiusstadt [Interview]
Luvre47

Die letzten 24 Monate waren turbulent für Luvre47. Zwei Alben, zwei Touren und dazu noch sein Schauspieldebüt im Film "Sonne und Beton". Mit "Danke für Alles" ist nun sein drittes Werk erschienen, das einen weiteren Entwicklungspunkt in seiner musikalischen Vita markiert. Zeit also für ein Gespräch über seinen Platz in der Gesellschaft, den Einfluss von Rappern auf die junge Generation und die Hiphop-Szene in Deutschland.

Luvre47 sitzt vor einer Berliner Kneipe in Nord-Neukölln. Mit uns wollte er sich hier – abseits der Gropiusstadt im Süden von Neukölln – treffen, weil er nicht, wie so häufig, mit Reportern durch Gropiusstadt spazieren wollte.

Luvre47 im Interview zum neuen Album "Danke für Alles"

Robin: Du hast mal gesagt, dass deine Gesprächspartner in Interviews meist von dir wissen wollen, wie miserabel es eigentlich in Gropiusstadt ist. Was läuft denn dort gut?

Luvre47: Es geht nicht darum, dass Leute negative Fragen stellen. Die Frage wird in der Regel mit der Erwartungshaltung gestellt, eine negative Antwort darauf zu bekommen, warum alles hier so böse und schlecht ist. Das erzählt man ja in seinen Songs, deswegen kann man auch gute Seiten beleuchten.

Ich hatte schon immer das Gefühl, dass da, wo wenig ist, der Zusammenhalt größer ist. Wo man weniger hat, rücken die Leute enger zusammen. Es gibt viele kleine Communitys. Man pusht sich mit eigener Kraft aus diesem Leben heraus und findet irgendwie seinen Weg. Das habe ich immer krass geschätzt.

Im Sommer ist es hier sehr geil, wenn du durch den riesigen Park und die Gegend spazierst. Du kannst hier entspannt Zeit verbringen. Es kommt aber auch immer ein wenig darauf an, in welchen Kreisen du sozialisiert bist. Es kann auch schnell mal ein bisschen rauer werden und man rutscht ab. Gropiusstadt bietet aber auch viel Inspiration – ob gut oder schlecht. Das hat mir geholfen.

Dein Großvater hat Gropiusstadt als Maurer mit aufgebaut. Man könnte sagen, dass er das auf physische Art und Weise getan hat. Baust du Gropiusstadt dafür psychisch auf?

Wenn ich etwas dazu beitragen kann, dass das Bewusstsein für Gropiusstadt größer wird, freut es mich. An einen Move, wie unser Viertel ins Kino zu bringen, komme ich nicht heran, aber ich glaube schon, dass wir etwas dafür getan haben, dass Leute einen Blick hierher werfen. Was das psychisch mit Leuten macht, will ich mir nicht anmaßen, zu bewerten. Ich weiß nur, dass es Leuten hilft, dass gewisse Dinge angesprochen werden und dass sie dankbar dafür sind.

Ist der Titel deines neuen Albums "Danke für alles" als Dank an die Menschen in Gropiusstadt zu verstehen?

Ja, auch. Ich hatte für mich das Gefühl, einmal Bilanz ziehen zu müssen, was in den vergangenen Jahren alles passiert ist. Ich wollte mich sortieren, mir Zeit nehmen, ein paar Sachen zu verarbeiten. Das hat als Deckel für die ganzen Werke, die ich gemacht habe, sehr gut in den Albumkontext gepasst. Danke für die ganzen positiven Entwicklungen, die in den letzten zwei bis drei Jahren passiert sind, aber auch danke für alles Negative, was mich genauso geformt hat. Dieses Album stellt keinen Schlussstrich dar, es wird auch keine Pause geben. Ich will nur einmal kurz durchatmen und danke dafür sagen, dass ich hier stehen darf.

Wo stehst du gerade innerhalb deiner künstlerischen Entwicklung?

Ich glaube, ich stehe deutlich etablierter da als vor einigen Jahren. Ich habe das Gefühl, dass ich mir keine Gedanken darüber machen muss, dass mich überhaupt jemand wahrnimmt. Trotzdem sehe ich mich eher etwas außerhalb der Deutschrap-Bubble. Ich habe Künstler kennengelernt, mit denen ich mich gut verstehe, aber mein Anspruch ist es nicht, dort komplett dazuzugehören.

In einigen Interviews von dir gab es immer mal wieder Momente, in denen du über gewisse Dinge nicht gerne sprechen beziehungsweise in die Tiefe gehen wolltest. Reicht es dir aus, dich mit diesen Dingen nur in deiner Musik auseinanderzusetzen?

Zu 100 Prozent. Was darüber hinaus geht wen etwas an? Was weiß ich von dir und deiner Lebenssituation? Das hat mich nichts anzugehen. Ich finde es wichtig, dass wir uns mitteilen, dass wir von uns erzählen. Aber es ist meine Entscheidung, was ich dir mitteile. Du hast dafür die freie Entscheidung, was du damit machst. Was ich dir darüber hinaus noch erklären möchte, darauf hast du keinen Anspruch, das geht niemanden etwas an.

Nimm Kolja Goldstein als Beispiel. Ich fand die Situation verwirrend und komisch, dass er beweisen muss, wie kriminell er ist. Was stimmt nicht mit den Leuten? Glaub es oder glaub es nicht. Wenn du Zugang zu dieser Welt hast, bring es selbst in Erfahrung. Aber wenn nicht, bilde dir kein Urteil darüber. Feiere die Musik oder lass es sein.

Man kann bei dir das Gefühl bekommen: Musik machen gerne, in der Öffentlichkeit stehen nicht unbedingt.

Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich alles um die Musik herum komplett weglassen. Ich wäre nicht sauer, wenn wir wieder in die Zeit von MySpace zurückgehen, wo du nur die Musik und ein Foto eines Künstlers hast. Man kann natürlich verbittert sein, dass es heutzutage nicht mehr so ist, aber am Ende des Tages ist es einfach eine neue Herausforderung, die der Beruf des Musikers, mit sich bringt. Daher muss man diesen Teil eben auch erfüllen, egal ob es einem Spaß macht oder nicht.

Wie sehr hat dir der Trubel rund um "Sonne und Beton" Spaß gemacht?

Wir waren innerhalb von zwölf Tagen in 15 Städten. Wenn du in gefüllten Kinosälen mit 800 Menschen Fotos machst, dann macht es was mit dir. Ich habe mich gefreut, dass ich bei der Berlinale dabei sein durfte. Ständig über einen roten Teppich zu laufen, war aber sehr merkwürdig. Ich wollte nicht in diese "neuen Welten", die sich mir eröffnet haben. Ich habe es genossen und bin dankbar für die Erfahrung. Wenn du anschließend wieder auf deinem Balkon stehst und in die Betonwüste blickst, dann sind das schon harte Kontraste. Dennoch waren es tolle Erfahrungen, die nicht alle Menschen erleben dürfen. Das führe ich mir immer wieder vor Augen.

In den vergangenen Jahren bist du die ein oder andere Kooperation mit einer Marke eingegangen. Es dürften sicher immer mal wieder Anfragen auf deinem Tisch landen. Wo ziehst du da die Grenze?

Mir ist in erster Linie wichtig, wie sich eine Company positioniert und ob ich mich mit deren Werten identifizieren kann. G-Shock beispielsweise ist keine Rolex, aber ich finde die Marke nice und hochwertig. Sie hat ein gewisses Standing und eine coole Message im Branding. Deshalb hatte ich Lust, das zu machen. Ich mache aber kein Reel für ein Produkt, das mir nicht gefällt. Ich bin kein Influencer. Wenn wir einen Weg finden, wie man etwas authentisch in Szene setzen kann, dann kann es sein, dass ich mal wieder etwas mache. Es darf aber nichts Aufgesetztes sein.

Viele Rapper verkaufen mittlerweile Produkte wie Eistee oder Pizza. Andere setzen beispielsweise Zeichen gegen Rassismus, Sexismus, Armut oder andere Dinge. Wie groß ist der Einfluss von Rappern auf die junge Generation generell?

Größer als wir Künstler denken. Größer als die Gesellschaft denkt. Ich glaube, dass Musik Menschen krass formen kann. Ich habe früher auch Musik konsumiert und meinen Lebensinhalt daran orientiert. Was ist für dich cool? Wer definiert für dich, was du cool findest? Dass etwas für dich cool ist, hast du dir nicht unbedingt selbst ausgesucht. Das ist ein äußerer Einfluss. Deswegen können Musiker sich nicht davor wegducken, dass sie eine gewisse Verantwortung haben. Wie man mit dieser umgeht, ist jedem selbst überlassen.

Du kannst Inhalte haben und gleichzeitig Eistee verkaufen, das geht beides zusammen. Natürlich ist es gut zu sehen, dass manche Rap-Artists es schaffen, ihre Community zu gewissen gesellschaftlichen Themen auf die Straße zu holen. Häufig nimmt man aber auch einen negativen Einfluss auf die Jugend wahr, beispielsweise was die Sprache oder den Umgang miteinander angeht. Wir Rapper stecken sehr viel in die Köpfe der Menschen rein. Es bleibt auch eine Menge davon darin hängen. Und je nachdem, welche Musik ein Mensch konsumiert oder welchen Künstler man feiert, formt es einen.

Auf "G-Block", einem deiner neuen Songs heißt es: "Die stoppen gar nix, ganz egal, wie lang sie Brüder einsperren / Dass ich Gutes sah in Menschen, ist 'ne lange Zeit her". Was haben die Erfahrungen, die dich in deinem Leben geprägt haben, mit deinem Verhältnis zur Gesellschaft gemacht?

Ich halte uns gesellschaftlich für sehr verkorkst. Klar, man hat seine Freundschaften und seine Familie, aber ansonsten sehe ich wirklich wenig Gutes, bei all dem, was man so aus der Gesellschaft aufschnappt. Man fragt sich, wie aktiv so viel Müll passieren kann. Ich gehe sehr aufmerksam durchs Leben und bin sehr empathisch, würde ich behaupten. Das lässt mich Dinge viel intensiver auffassen, als es vielleicht der ein oder andere meiner Kumpels tut und wo man sich fragt: Bro, wie kann dich dieses oder jenes gerade nicht beschäftigen? Ich beschäftige mich viel mit wirtschaftlichen oder naturbedingten Geschichten in unserer Gesellschaft. Vieles kann man da gar nicht mehr richtig nachvollziehen. Dazu kommen viele Menschen, die egoistisch, unloyal und neidisch sind. Das alles ergibt dann ein Grundbild für mich, in dem ich wenig Gutes sehe.

Suchst du noch nach deinem Platz in der Gesellschaft?

Ein Mensch wie ich bleibt suchend, weil ich immer Lust habe, mich weiterzuentwickeln und nie auszulernen. Sonst bleibt man stehen im Leben. Ich versuche, Dinge bewusster wahrzunehmen und aufzusaugen. Allein die Frage, wo ich in den nächsten zehn Jahren wohnen will, ist ein Thema, das mich so komplex beschäftigt.

Du hast mal gesagt, dass du Gropiusstadt nicht verlassen möchtest. Hat sich daran etwas geändert?

Meine Base in Gropiusstadt will ich auf jeden Fall nicht aufgeben. In der letzten Zeit verliere ich aber sehr die Lust, meine Zukunft langfristig in Deutschland zu sehen. Ich glaube, ich brauche mal ein wenig Abstand. Wo es hingeht, kann ich noch nicht sagen. Das hängt von vielen Faktoren ab, die ich jetzt hier nicht zum Thema machen möchte. Ich will nicht auswandern, aber ich will ausprobieren, wie es ist, woanders zu leben. Vielleicht werde ich künftig ein halbes Jahr im Ausland leben und ein halbes Jahr in Deutschland. Für Touren und Festivals würde ich ohnehin immer hierher zurückkommen.

Auf deinem Album findet man einen Song namens "Sommernacht". Soundtechnisch hat mich das Stück ein wenig an Pashanim erinnert.

Es ist okay, wenn du das so siehst. Ich glaube, dass ähnliche Einflüsse zu dem Song geführt haben. Diese ganze Four-To-The-Floor-Wave hat einfach schon eine Weile kursiert und ich wollte was dazu machen. Es war aber nicht so, dass wir uns da an irgendetwas von Pashanim orientiert haben.

Berlin hat schon immer für sehr diverse wie erfolgreiche Künstler aus der Hip-Hop- und Urban-Szene gestanden. In den letzten Jahren konnte man, finde ich, das Gefühl bekommen, dass dort wieder eine ganze Generation dieser Künstler hervorkommt, die wiederum eine ganze Generation an Zuhörern prägen, so wie es vielleicht Mitte der 2000er-Jahre Aggro Berlin getan hat. Wie siehst du das?

Wir Künstler aus der Rap-Szene in Berlin sind natürlich nicht alle auf einem Label, deswegen hinkt dieser Vergleich ein wenig. Aber ich weiß schon, was du meinst. Vom Impact her ist das sicher ähnlich. Ich bin, was Hip-Hop angeht, noch sehr engstirnig aufgewachsen. Meine Straße, mein Bezirk ist der Beste, deine Straße, dein Bezirk ist das Gegenteil davon. Am Ende des Tages haben wir alle mehr davon, wenn wir uns supporten. Das hat unsere Generation viel besser verstanden, es gibt viel weniger unnötige Streitpotenziale. Durch das Internet werden Dinge in Städten viel schneller zugemacht. Es gibt sehr coole Leute aus Hamburg, aus Köln, aus Frankfurt. Wenn man aber darüber nachdenkt, was alles aus Berlin kommt – vor allem auch von Ur-Berlinern – dann finde ich das schon krass.

R: In einem älteren Interview mit Mzee hast du vor vielen Jahren mal gesagt, dass du dir in einigen Jahren eine "größere Hörerschaft und größere Venues, aber immer noch mit der Kunst, die mir selbst gefällt und mit dem gleichen Mindset", erhoffst. Inwieweit bist du dir da treugeblieben?

Das ist nach wie vor mein Anspruch. Ich glaube beispielsweise, dass es nicht wenige Leute in meiner Hörerschaft gibt, die glauben, dass ich einen Song wie "Kein Strom" gemacht habe, um XY zu gefallen. Die Wahrheit ist: Ich hatte einfach Bock, ein Porträt über ein Mädel aus meiner Hood zu machen. Man hängt schließlich nicht nur 24/7 mit Männern im Park ab und ich habe gemerkt, dass dieses Thema unterrepräsentiert ist in meiner Musik. Es gab einen Haufen von Menschen, die, als sie den Song gehört haben, gesagt haben: Rappe doch lieber hierüber und darüber. Ich habe dann gesagt: Du musst es nicht feiern, es ist deine Entscheidung. Hör' es oder hör' es nicht.

Checkt Robin Schmidt bei Instagram aus: @derlyrischegourmet

Artist
Kategorie

Groove Attack by Hiphop.de